Georgien: Der Kampf um Saakaschwilis Erbe

Saakaschwilis Nachfolger? Davit Bakradze von der Vereinten Nationalbewegung liegt in Umfragen nicht an erster Stelle.
Saakaschwilis Nachfolger? Davit Bakradze von der Vereinten Nationalbewegung liegt in Umfragen nicht an erster Stelle.(c) REUTERS (DAVID MDZINARISHVILI)
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Mit den Präsidentenwahlen am Sonntag in Georgien nähert sich das Jahrzehnt des Staatschefs seinem Ende. Ob die neue Regierung das Land stabilisieren kann, ist derzeit noch unklar.

Telavi/Tbilisi. Wenn man Gogi zuhört, glaubt man, dass am Sonntag über das Schicksal Georgiens abgestimmt wird: ob es ein Rechtsstaat bleibt oder ins Chaos abgleitet. Der drahtige Mittdreißiger chauffiert Besucher durch das Weinbaugebiet Kachetien, und der Soundtrack zur Fahrt über sanfte Hügel ist eine Hasstirade gegen die neuen Herren im Land. „Banditen und Gauner“ seien der Premier Bidsina Iwanischwili und seine Leute vom „Georgischen Traum“. Die Parteienkoalition will bei der Wahl am Sonntag ihren Kandidaten Giorgi Margwelaschwili ins Präsidentenamt hieven – und damit Mikheil Saakaschwilis politische Ära beenden.

Gogis politisches Idol ist und bleibt Amtsinhaber Saakaschwili, der nicht mehr antreten darf. „Mischa“ hat Georgien mit Straßen geebnet, wofür der Chauffeur dankbar ist, und er hat, was Gogi ebenso schätzt, die korrupte Polizei in eine anständige Truppe in schicken Uniformen verwandelt. Er hat die kachetischen Städtchen Telavi und Sighnaghi zu touristischen Musterdörfern herausgeputzt und überall im Land gläserne Verwaltungsgebäude errichtet, bei denen man von außen das Tun der Beamten beobachten kann. Auf kurvenreichen Straßen, vorbei an alten Kombinaten und neuen Kellereien, chauffiert Gogi ohne Sicherheitsgurt und rasanter als erlaubt, doch er wähnt sich auf der Seite der Rechtmäßigen, im Gegensatz zu Iwanischwilis Mannen, die – vertraut man den Umfragen – künftig nicht nur die Regierung, sondern auch den Staatschef stellen werden.

Konfrontation mit Russland

Saakaschwilis Partei trägt den Namen „Vereinte Nationalbewegung“ (UNM). Doch einen konnte er das Land nicht. Im Gegenteil: Am Ende seiner Amtszeit ist Georgien tief gespalten. Die Wahl – ein Streit um Mischas Erbe; nicht die Kandidaten zählen, sondern ihre Parteifarbe.

Saakaschwili hat Georgien umgekrempelt. Im Jahr 2003, als er mit der Rosenrevolution an die Macht kam, drohte der Staat zu zerfallen. Dem Columbia-Absolventen war es gelungen, seine Grundfunktionen wiederherzustellen, Polizei und Verwaltung zu reformieren. Er ließ in die Infrastruktur investieren, finanziert vor allem durch US-Kredite. Saakaschwili wollte Georgien in Nato und EU bringen und nahm dafür die Konfrontation mit Russland in Kauf. An die Schalthebel der Macht gelangten junge Parteigänger, amerikavernarrt, ehrgeizig und ungestüm wie ihr Präsident.

Es war ein umfassendes Reformprogramm von oben nach unten. Zu Saakaschwilis Vorbildern zählt der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, und manche bezeichnen Saakaschwilis Kurs als „Modernisierungsautoritarismus“. 2007 prügelte die Polizei Demonstranten nieder, 2008 erlebte das Land im Augustkrieg gegen Russland ein militärisches Fiasko. Die Nato-Hoffnung war dahin, die Stimmung sank, und die Kehrseite der Reformen wurde sichtbar. Unternehmer beschwerten sich über Wirtschaftsmonopole und Zwangsabgaben, Journalisten und die Opposition beklagten die Überwachung, ein Folterskandal in den überfüllten Haftanstalten bescherte der UNM schließlich vor einem Jahr die Wahlniederlage im Parlament.

Seither regiert in Georgien Milliardär Iwanischwili, ein früherer Financier Saakaschwilis. „Er führt das Land wie ein Unternehmen“, sagt Analyst Ramaz Sakvarelidze. Doch der Gewinn lässt auf sich warten: Der Premier hat viel versprochen und noch wenig eingelöst. Die Strompreise steigen, trotz gegenteiliger Beteuerungen, und damit die Unzufriedenheit. Ausländische Investoren geben sich abwartend – man vermisst einen klaren Kurs.

Die tiefen Stimmen eines georgischen Männerchors hallen über das Areal nahe dem Flughafen Tbilisi. Die Niederlassung des österreichischen Logistikers „Gebrüder Weiss“ wird eröffnet. 13.000 Palettenplätze zählt die moderne Halle, ein Umschlagplatz für den Südkaukasus, Kosten: zehn Millionen Euro. Die Exregierung habe „für Investoren stabile Rahmenbedingungen geschaffen“, sagt Geschäftsführer Wolfram Senger-Weiss. Er hofft, dass das weiterhin so bleibt. Doch die derzeitige Rezession macht ihm Sorgen. Verstärkt wird sie dadurch, dass die neue Regierung einige Infrastrukturprojekte wieder gestoppt hat. „Die Privatwirtschaft konnte da noch nicht richtig einspringen.“

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Der Premier hat seinen Rückzug nach der Wahl angekündigt. Was Parteikollegen als demokratische Großtat rühmen, könnte unabsehbare Folgen haben. „Es könnte sein, dass die Regierungskoalition zerbricht“, so Analyst Sakvarelidze. Die erfahrene Politikerin und Präsidentschaftskandidatin Nino Burdschanadse fordert schon jetzt vorgezogene Parlamentswahlen. Erweist sich Iwanischwilis Nachfolger als politisch schwach, käme ihr das zugute. Am Ende von Saakaschwilis Jahrzehnt sind die Konturen der neuen Ära verschwommen.

Exil in den USA?

Unklar ist, welches Schicksal Saakaschwili ereilt. Ihm könnte gerichtliche Verfolgung drohen. Georgien sei „kein sicherer Ort mehr“ für ihn, sagt Sakvarelidze. Saakaschwili denkt womöglich über eine persönliche Exitstrategie nach. Als bevorzugtes Reiseziel gelten die USA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2013)

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